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Die Geheimnisse der Wiener Villen

Forum - Die Geheimnisse der Wiener Villen
Der Traum vom Süden im Wienerwald: die Villa Otto Wagner. Von Beginn an war die Villa mit deutlichen Anklängen an antike Tempel als Ort heiterer Lebensfreude gedacht. © Robert Bouchal/Styria Verlag

Die Stadt Wien steckt voller Geschichte und Geschichten. Johannes Sachslehners und Robert Bouchals Buch über Wiener Villen rückt einige bislang unbekannte Episoden ins Licht.

Michael Hametner01.03.2024

Wendet man sich dem Thema Wohnen in Wien zu, gibt es zwei Besonderheiten: Was die Stadt prägt, ist der kommunale soziale Wohnungsbau, Gemeindebau genannt, und die in ihrem architektonischen Glanz oft beachtlichen Villen, vor allem aus der Gründerzeit. Der Historiker und Buchautor Johannes Sachslehner und der Fotograf Robert Bouchal haben sich die Türen zu 14 Wiener Villen öffnen lassen und sich für die Geschichte und die Geschichten ihrer Gründer und späteren Nutzer interessiert.


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Ein Spiegelbild wirtschaftlicher Potenz

„Menschen prägen Häuser, und Häuser prägen Menschen“ lautet die einfache Formel, erklärt mir im Gespräch über seine Recherchen Autor Johannes Sachslehner. Diese Formel ist auch das Grundkonzept des Buches, das sich nicht auf Beschreibungen des architektonischen Stils beschränkt, sondern die Geschichte der Häuser und ihrer Gründer und Bewohner erzählt.

Ein Beispiel ist die Villa Gutmann. Sie kam nur zehn Jahre nach Fertigstellung in den Besitz des Kohlenkönigs Max Ritter von Gutmann, dessen Aufstieg zu den erfolgreichsten im Zeitalter Franz Josephs zählt. Vom neuen Besitzer wurde der namhafte Architekt Max von Ferstel beauftragt, die Villa zu einem Herrschaftshaus umzubauen. Der Auftraggeber verlangte einen monumentalen Prachtbau als imposantes Spiegelbild seiner wirtschaftlichen Potenz. Mit dem Einsatz von teurem Material wurde nicht gespart. Die Decken vier Meter und höher, der Stuck kostbar. Allein der Salon umfasst 100 Quadratmeter. In dessen Mitte steht ein 7,5 Meter langer Tisch, darüber hängt ein imposanter Luster. Das ganze Hauptgeschoss, die Beletage, ist überwältigende 475 Quadratmeter groß.

Im Buch wird die Geschichte der Familie Gutmann detailreich erzählt. Man liest vom Attentat auf Max von Gutmann, dem er nur knapp entging, liest von den Eheschließungen seiner Kinder und nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 an das faschistische Deutschland von der Beschlagnahme der Villa durch die SS, die in ihr eine Dienststelle einrichtete. Nach dem Krieg wurde die Villa an eine Gutmann-Erbin restituiert. Als sie 1949 verkaufte, verlangte das Wohnungsamt von Wien, dass sechs Wohneinheiten Privaten zur Verfügung gestellt werden müssen. Also – und das war keine Ausnahme bei der Weiterführung mancher Wiener Villen bis in die Gegenwart – mussten ohne ausreichend Rücksicht auf die historische Bausubstanz Zwischenwände eingezogen werden. „So blieb von der ursprünglichen Grandezza wenig übrig“, schreibt Sachslehner. Die kostbaren Decken wurden etwa mit Rigipsplatten abgehängt. Das Schicksal der Villa Gutmann wäre besiegelt gewesen, hätte sich nicht eine Familie gefunden, die einen Großteil der Villa erwarb und ihn als Kompromiss aus heutigen Wohnansprüchen und dem alten Stand pfleglich weiterführt.

Gäbe es in unserer Zeit solche Bemühungen um die Seele der alten Villen nicht, drohte ihnen nicht selten der Verfall. So der „Villa Dollarprinzessin“, die von 1909 bis zu seinem frühen Tod 1925 dem erfolgreichen Operetten-Komponisten Leo Fall gehört hatte. Auch der Villa von Otto Wagner, der sich unter anderem mit den Stationsgebäuden der Wiener Stadtbahn ein Denkmal gesetzt hat, drohte die Abrissbirne. Wäre nicht Ernst Fuchs gewesen, einer der Großen des Wiener Phantastischen Realismus, gäbe es Wagners Villa heute nicht mehr. Der Baugrund am Rande des Wienerwalds war bereits parzelliert.

Leben mit der Pracht vergangener Tage

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Ein fast schon vergessener Gedächtnisort der Zweiten Republik: die Villa Blaimschein in der Lainzer Straße 28, heute Residenz des Boschafters des Iran © Johannes Sachslehner/Styria Verlag

Bei der Lektüre der Wiener Villen drängte sich mir die Frage auf, warum in der Gründerzeit die alten Stile eklektizistisch fröhlich weiterlebten. Als die Gesellschaft in eine neue Ära aufbrach, wurde beispielsweise in der Villa des Margarine-Fabrikanten Carl Blaimschein alles im puren Historismus eingerichtet. Man stattete den roten Empfangssalon mit antiken Seidengobelins ganz im Rokkoko-Stil aus. Die Gesellschaft war in eine neue Ära aufgebrochen, schwelgte aber weiter in einer längst abgelaufenen Kultur. Auf meine Frage, wie dieser Widerspruch zu erklären ist, sagte mir Johannes Sachslehner: „Es war ein allgemeines Signum der Zeit: Man verdiente zwar sein Geld mit innovativen Industrieunternehmen oder geschickten Bank- und Handelsgeschäften, die private häusliche Welt besetzte man jedoch mit den Statussymbolen der Vergangenheit, weil das der konkurrierenden Ersten und Zweiten Gesellschaft noch immer gewaltig imponierte.“

Glücklicherweise gibt es im Buch zwei Beispiele, die die Wiener Moderne rühmen: die Villa des Schriftstellers Jakob Wassermann und die Villa Beer. Beide Entwürfe stammen aus der sogenannten Zwischenkriegszeit und dokumentieren neben der imperialen „Lust am Unechten“ die Wiener Moderne, wo um neue Lösungen gerungen wurde. Johannes Sachslehner lenkt den Blick der Leser auf Otto Wagner und seine Schule, auf Josef Hoffmann und Adolf Loos oder auch Oskar Strnad. Warum uns diese Villen nicht so ins Auge fallen? „Vieles, was neu war“, erfahre ich, „blieb nach außen auch relativ unsichtbar, man verwirklichte sich vielfach bei der Inneneinrichtung und ging hier neue Wege. Leider ist vieles verschwunden.“

Den beiden Architekten Josef Frank und Oskar Wlach, die zwischen 1929 und 1931 die Villa Beer realisierten, ging es um ein Gebäude, das all die Vielfältigkeit bot, die man im rationellen Wohnungsbau bisher vermisste: „Große Räume, große Fenster, viele Ecken, krumme Wände, Stufen und Niveauunterschiede, Säulen und Balken.“

Villen als wichtige Erinnerungsspeicher

Die Darstellung der Wiener Villen-Kultur geht weit über die Vorstellung von 14 Beispielen hinaus. Für den Leser entsteht eine kleine Schule der Wahrnehmung. Die Geometrie eines Hauses ist nur die erste Wirklichkeit. Die zweite ist die Wahrnehmung als Ort für die menschliche Seele. Man lernt den in Wort und Bild vorgeführten Villen anzusehen, ob ihre Gründer und Besitzer aus der Gegenwart flohen oder das Haus als Raum der Selbstverwirklichung ansahen, das ihnen Ort wurde in der Welt, Rückzugsort und Kraftfeld.

Zwei der vorgestellten Villen zeigen den Kahlschlag in der Zeit der NS-Diktatur, als Österreich ab 1938 Deutschland „angeschlossen“ war. Eine gehörte zeitweise Alois Brunner, den Adolf Eichmann seinen „besten Mann“ nannte und der alles tat, um Wien am 9. Oktober 1942 „judenfrei“ zu melden, die andere gehörte Hitlers Gauleiter und Statthalter in Wien Baldur von Schirach. „Die neuen Herren“, sagt mir Johannes Sachslehner zu diesem dunklen Kapitel, „die sich in den arisierten Villen breitmachten, blieben barbarische Okkupanten eines Wohn-Intimbereichs, den sie vielfach nicht verstanden.“

Dass die Villen Zeugen vergangener Epochen sind, Erinnerungsspeicher, Ausdruck einer dynamischen Gemeinsamkeit von Mensch und Haus, vermitteln Johannes Sachslehner und Robert Bouchal in ihrem Buch. Aber es gibt noch einen anderen Adressaten. Die Autoren bekennen bereits im Vorwort, die Stadt Wien anstoßen zu wollen, ihre Aufmerksamkeit dem einzigartigen Erbe der Wiener Villen zuzuwenden.


Infos


Robert Bouchal, Johannes Sachslehner

Wiener Villen und ihre Geheimnisse

Styria Verlag 2023,

225 Seiten, 35 Euro