Distrikt 1820
Brauchen wir eine Fünf-Fragen-Probe?
Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung waren Hauptthemen der Online-Halbjahreskonferenz im Distrikt 1820.
Musiker der Neuen Philharmonie Frankfurt sorgten mit ihrem "Präludium" bereits 20 Minuten vor Beginn der Konferenz für ein gelungenes "Warm-up". Dabei versetzten Arno Rackow (RC Hanau-Maintal) und Katrin Glenz als Sänger die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an ihren heimischen Bildschirmen in die gute alte Beatle-Zeit.
Mit seinen einleitenden Worten beendete Henning von Vieregge jedoch so manchen Traum. Der Distriktgovernor bestärkte die Clubs in ihrem Streben nach "jünger, moderner, diverser" - mit ständigem Probieren, Sortieren und Justieren. Bei allem Experimentieren müsse aber stets das Gebot der Nachhaltigkeit beachtet werden.
Für den Vormittag kündigte er dazu den theoretischen Teil an, während er für den Nachmittag "enkelfeste" Leuchtfeuerprojekte versprach, die auch noch Bezug haben zum Jahresmotto "Offene Heimat Rotary".
Unter Rotariern: Du oder Sie?
Nach dem Aufruf der Clubs, der diesmal recht unspektakulär über die Chatfunktion erfolgen musste, bekam Christof von Dryander (RC Bad Homburg) Gelegenheit, sich zu seinem heißdiskutierten Beitrag im Rotary Magazin H 9/20 zum Thema "Wenn duzen, dann alle" zu äußern. Sein kurzes Fazit: "Selektive" Duz-Kultur führt zu Ausgrenzungen und macht Probleme – insbesondere, wenn das "korrekte" Gendern noch dazu kommt.
Andrea Strasser, Psychologin und Mitglied im RC Nürnberg-Connect, beschäftigte sich danach mit der Vier-Fragen-Probe aus psychologischer Sicht. Sie selbst ist seit zwei Jahren Rotarierin und Gründungsmitglied ihres Clubs. Eine Motivation für ihre Mitgliedschaft war, dass sie als Teil einer Wertegemeinschaft strukturiert etwas Gutes tun wollte.
Ziel von Herbert Taylor, im Jahr 1938 Autor der Vier-Fragen-Probe, war ein kurzer prägnanter Verhaltenscodex, den man ständig bei/vor sich hat. Nachdem sich der Codex auch in der wirtschaftlichen Praxis bewährt hatte – etwa "nicht negativ über Mitbewerber reden" oder "realistische Zahlen nennen" - wurde die Vier-Fragen-Probe 1943 für alle Rotarier weltweit verbindlich.
Andrea Strasser zufolge deckt die Vier-Fragen-Probe die psychologischen Grundbedürfnisse des Menschen ab, wobei alle Fragen eng zusammenhängen. Die Ergebnisse entsprechenden (Fehl-)Verhaltens seien sogar im Gehirn messbar. Dieser Verhaltenscodex spiegelt - fern jeder Weltanschauung - zutiefst die menschliche Moral, so ihr abschließendes Fazit.
Vier-Fragen-Probe musikalisch
Passend hierzu überraschten Bernhard Wetz (RC Frankfurt-Alte Oper) am Klavier und Sopranistin Julie Sekinger die Konferenzteilnehmer mit einer musikalischen Fassung der Vier-Fragen-Probe. Bernhard Wetz, ehemaliger Leiter der Frankfurter Musikhochschule, hatte dazu den englischen Urtext in eine sehr gefällige musikalische Sprache übersetzt.
Nach dem musikalischen Zwischenspiel gab Moderator Jörg Hahn (Frankfurt-Alte Oper) das Wort weiter an Elke Siehl (RC Dreieich-Isenburg). Die Nachhaltigkeitsbeauftragte der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) ging als erstes auf den kürzlich ausgestrahlten Fernsehfilm "Ökozid" ein. Die dort für das Jahr 2035 beschriebenen Katastrophenszenarien seien teils heute schon Realität. Auch gäbe es bereits jetzt Initiativen, die die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen wollen.
Nachhaltigkeit hat für Elke Siehl drei Dimensionen: ökonomisch, ökologisch und sozial. Rotary sei auf allen Ebenen, wie Kommunen, Staaten, internationale Organisationen, breit und gut aufgestellt. Die Aufnahme einer fünften Frage "Ist es nachhaltig, ressourcenschonend?" in den rotarischen Verhaltenscodex wäre daher allein schon durch die weltweite Aufmerksamkeit ein starkes Signal.
Braucht es eine fünfte Rotary-Frage?
In einer ersten online durchgeführten Abstimmung sprachen sich 20 Prozent der Teilnehmer für die Aufnahme einer fünften Frage aus. 43 Prozent votierten mit Nein und 37 Prozent waren unentschieden. Nach einer Diskussion in Fünfer-Gruppen fiel das ablehnende Votum noch deutlicher aus: Der Anteil der Befürworter blieb mit 20 Prozent gleich; sieben Prozent blieben unentschieden und 73 Prozent stimmten mit Nein.
Hier einige Argumente und Anregungen aus der Chat - Diskussion:
- Die vorgeschlagene Frage fünf ist mit den vier Fragen bereits abgedeckt.
- auch die Bibel braucht kein elftes Gebot.
- Erweiterung der vierten Frage um "...auch dem Wohl unseres Planeten dienen"
- bei vier Fragen belassen und zur Auslegung einen "Kommentar" verfassen.
DG Henning von Vieregge dankte für die vielen Beiträge und regte an, die Diskussion in die Clubs zu tragen.
Der anschließend von Schatzmeister Lucas Corzilius (RC Hanau) vorgetragene Finanzbericht war kurz und knapp: Inzwischen wurden alle Unterlagen vom Vorgänger übernommen und soweit möglich digitalisiert. Die wegen Transparenz und Nachhaltigkeit erforderlichen Arbeitstreffen mit der Governorstafette finden regelmäßig statt. Der Beitragseinzug ist bei gutem Kontostand auf dem Laufenden.
Der Vormittag ging zu Ende mit Kahoot, einem Spaß-Quiz zu rotarischen Fragen. Pascal Fehst (Rotaract) demonstrierte hiermit eindrucksvoll, wie didaktisch klug unter anderem rotarisches Wissen auf interaktivem Weg vermittelt beziehungsweise abgefragt werden kann. So wissen jetzt alle Teilnehmer, dass am 17. 04. 2021 der von Rotary und Rotaract gemeinsam organisierte "Actionday for 1 Million Trees" stattfinden wird – oder, dass bei Sozialprojekten mit Rotary-Fördermitteln eine Verdreifachung des Einsatzes möglich ist.
Pecha Kucha — Plaudern über Projekte
Der Nachmittag der Halbjahreskonferenz stand unter dem Motto: "Praxis, enkelfest – wir kommen!"
Aus allen acht Regionen des Distrikts wurde jeweils ein Leuchtturmprojekt vorgestellt. Zur Präsentation wurde das "Pecha Kucha"-Format gewählt. Pecha Kucha ist japanisch für Plaudern. In der Praxis bedeutet das, dass zu jedem Projekt 20 Folien gezeigt werden, die im 20-Sekunden-Takt automatisch weiterlaufen.
Den Anfang machte Walter Blum (RC Schwalmstadt), ADG der Region 1, mit der Gemeinschaftsaktion "Gemeinsam für die Heimat, gesunder und starker Wald in Nordhessen". Er berichtete über einen Waldaktionstag mit Sammeln von Eicheln zur Aufzucht neuer Setzlinge und verschiedene Baumpflanzaktionen - unter anderem in Bad Wildungen und Fritzlar (www.rotary.de/a16987)
Es folgte die Region 2 mit ADG Christel Hillenbrand (RC Rhön), die die für Juni 2021 geplante Aktion "Wir fahren für Kinder in Not — mit dem Rad nach Szeged" mit eindrucksvollen Bildern und Zahlen präsentierte. So führt die 18-tägige Charity-Tour über 1.380 km durch vier Länder zum ungarischen Szeged. Elf Rotary Clubs an der Strecke sind eingebunden und machen mit. Der Erlös wird unter anderem gehen an das Friedensdorf Oberhausen, in dem jugendliche Kriegsopfer versorgt werden.
Das von Peter Ebke (RC Alsfeld) vorgestellte Projekt der Region 3 ist mit dem Titel "Schüler im Infektionsschutz, wie geht das in unseren heimischen Schulen?" höchstaktuell. Jugendliche der Klassen 5 bis 13 werden in dreitägigen Kursen zu Infektionsschutzassistenten ausgebildet. Das Programm umfasst unter anderem Infektionsschutz im Alltag mit Keimtests und Diskussion der Befunde. Die Schüler bekommen damit auch Zugang zu einem Kompetenznetzwerk und werden zugleich als Multiplikatoren in ihren Klassen Experten im Kampf gegen Fake-News.
Für die Region 4 präsentierte Dennis Becker (RC Bad Orb) das Projekt "Diabetiker Kids, täglich mehr Freude und Gelassenheit". Diabetiker-Kinder erfahren bei besonderen Events, wie zum Beispiel Segeln, dass Altersgenossen ähnliche Einschränkungen haben und dass dennoch ein ganz normales Leben mit viel Spaß möglich ist. Auch werden Lehrer im Umgang mit Diabetes geschult. Hierdurch wird vermieden, dass das eine oder andere Diabetiker-Kind wegen verunsicherter Lehrer in einer Sonderschule landet. (www.rotary.de/a16752)
"Unterricht für Förderschüler – nach Noten, nicht mit Noten" ist der Titel des Projektes, das Peter Ochs (RC Bad Vilbel) für die Region 5 vorstellte. In der Rockademy machen Jugendliche, die aus schwierigen familiären Verhältnissen kommen oder die aus anderen Gründen in ihrer Entwicklung gestört sind, unter pädagogischer Anleitung gemeinsam Musik. Öffentliche Auftritte, auch zur rotarischen Weihnachtsfeier, offenbaren erstaunliche Begabungen und tragen zur Bildung von Gemeinschaftsgeist und Selbstbewusstsein bei. (www.rotary.de/a13198)
"Die Frankfurter Lesepaten" sind das gemeinsame Projekt der Frankfurter Clubs, der Region 6: Dagmar Haase (RC Frankfurt/Main-Städel) stellte als Sprecherin der Lesepaten das seinerzeit vom RC Frankfurt/Main-Friedensbrücke initiierte Projekt vor und nannte dabei eindrucksvolle Zahlen: 400 Lesepaten kümmern sich an 65 Schulen um 1.600 Kinder. Im Jahr 2018 erfolgte diese 1:1-Betreuung der Kinder in insgesamt 45.000 Stunden. Seit 2015 wird die Organisation der Lesepaten von der Frankfurter Bürgerstiftung übernommen. Das gute Beispiel machte Schule; so wurden 2018 die Lesepaten auch in Bad Homburg gegründet.
Die Region 7 wurde durch ADG Alexander Remler (RC Groß-Gerau/Rhein Main) vertreten, der die LimburgerWeinmesse vorstellte. Hierbei handelt es sich nicht um einen Markt, sondern um eine Messe, bei der die Besucher mit ihrem Eintrittsgeld ein Weinglas erwerben, aus dem sie an verschiedenen Winzerständen den veredelten Rebensaft trinken können. Sponsorengelder, Standgebühren und Eintrittskarten (Gläser) ergeben einen stattlichen Spendenertrag, der zwei lokalen Hospizdiensten und der Jugendgruppe NoLimits in Hadamar zugutekommt. (www.rotary.de/a14024)
Den Reigen der Präsentationen mit jeweils 20 Folien im 20 Sekunden-Takt beendete Stefan Schmitgen, Präsident des RC Main-Taunus, aus der Region 8. Er zeigte eindrucksvoll, wie sein Club auch in Pandemiezeiten sein traditionelles Benefizkonzert im Landratsamt Hofheim durchführte und – zusätzlich im Livestream — weltweit tausende Zuhörer erreichte. Als vorläufiges Ergebnis konnte er 10.000 Euro an die Musikhochschule Frankfurt für die Vergabe von Deutschlandstipendien weiterleiten. (www.rotary.de/a16981)
Welches ist das beste Projekt?
Nach der Vorstellung der Leuchtturmprojekte aus den einzelnen Regionen führten die im Hintergrund für die Technik verantwortlichen DICOs Andreas Noll (RC Hanau) und André Dammeyer (RC Bad Homburg vor der Höhe) eine Abstimmung zur Platzierung der vorgestellten Projekte durch.
Auf Platz 1 landete die Region 3 mit dem Infektionsschutzprojekt in Alsfeld. Platz 2 ging an die Frankfurter Lesepaten in Region 6 und über den dritten Platz freuten sich die Freunde vom RC Main-Taunus, Region 8, mit ihrem zuletzt vorgestellten Benefizkonzert.
In seiner Laudatio würdigte Heinz Riesenhuber (RC Frankfurt am Main) die ausgezeichneten Projekte. Auch er hatte das Infektionsschutzprojekt auf Platz 1 gesetzt. Als Gründe nannte er die Aktualität und insbesondere die Heranführung von Kindern an die Wissenschaft – kein Wunder bei einem Forschungsminister, auch wenn a.D.
DG Henning von Vieregge bezeichnete daraufhin alle vorgestellten Projekte als Siegerprojekte. Alle Teilnehmer gewinnen als Preis eine gemeinsame Führung durch die (neue) Frankfurter Altstadt durch renommierte rotarische Architekten mit anschließendem Kaffeetrinken mit Heinz Riesenhuber.
Außerhalb der Konkurrenz stellte Nicos Stergiou (RC Rodgau) das Hospizprojekt des RC Rodgau als krönenden Abschluss vor. Dieses für 3,6 Mio Euro am Rodgauer Wasserturm errichtete Hospiz ermöglicht Menschen ein würdevolles Sterben – endlich in ihrer engeren Heimat. (www.rotary.de/a14040)
Eindrucksvolle Vielfalt
Zum Abschluss fand Heinz Riesenhuber viele Worte des Lobes für Organisation und Moderation des Treffens. Sein Eindruck war, dass alles spontan und locker wirkte; das spricht seiner Erfahrung nach für eine besonders penible Vorbereitung im Detail. Er sah auf der Veranstaltung die eindrucksvolle Vielfalt von Rotary bestätigt – eine Vielfalt von Menschen, die sich auf gleicher Wellenlänge begegnen.
Auf Politik und Ethik angesprochen zitierte er Plato, der schon vor 2.400 Jahren gesagt hat, dass die Klugen, die sich aus der Politik raushalten, selbst schuld daran sind, dass sie von Dummen regiert werden. Governor Henning von Vieregge zitierte in seinen Dankesworten an alle Mitwirkenden wiederum Heinz Riesenhuber, der – als er mit Anfang 80 nicht mehr für den Bundestag kandidierte – seinerseits Picasso zitiert hatte mit dem Satz: "Man muss erst alt werden, um jung zu werden."
Christian Kaiser wurde 1942 in Hessen geboren, machte Abitur in Hanau. Studium der Agrarwissenschaften in Göttingen und Bonn mit Promotion. Pächter der Hessischen Staatsdomäne Kinzigheimerhof bis 2004. Öbuv. Sachverständiger. Verheiratet, zwei Kinder. Seit 1981 im RC Hanau. Präsident 1999/2000, PHF+3. 2011 bis 2021 war er Distriktberichterstatter für D 1820.
Weitere Artikel des Autors
12/2024
Auf die ersten zehn Minuten kommt es an
Rotarisches Kammerkonzert
5/2024
Der goldene Siebenmeilenstiefel – Märchen schafft Zukunft
3/2024
Gesicht zeigen am Action Day
1/2024
Rotary Stiftung Zeichenakademie
12/2023
Gemeinsam für Hanau
11/2023
Citation für den RC Eschborn
11/2023
Laufend Gutes tun
9/2023
Frankfurter Würstchen für den guten Zweck
9/2023
Auszeichnung engagierter Schülerinnen und Schüler
Mehr zum Autor